Taijiquan ist eine Kampfkunst und hat sich in seiner
Geschichte immer auch wieder darauf orientiert.
Und jede Form von gesundheitlichen Übungen in diesem Zusammenhang hat immer auch den
Aspekt der Kampflust in sich, weil sonst die Intentionen in den Übungen nicht
korrekt angewendet werden würden.
Dieses Schattenboxen bedeutet eben das sich Vorstellen eines
anderen, sowohl als Partner als auch als Gegner, bei dem man zu mindestens seine
Struktur und Verwurzelung bewahren sollte.
Jede Figur in der 24er Form ist eine Summe von Vorstellungen
in der Anwendung einer Kampfkunst. Und doch ist es auch so, dass ich als
Beginnender jede Figur erst einmal verstehen muss, damit ich sie dann anwenden
kann.
Dazu hat sich im Taijiquan herausgebildet, dass ich diese
Bewegungen langsam ausführe, damit ich in jedem Punkt der Bewegung erkennen
kann, wie sich die Struktur in meinem Körper wandelt. Und auch die Anwendungen
bewege ich langsam, damit ich im Zusammenspiel mit dem Partner erkenne, ob ich
die Figur im Sinne der Taijiprinzipien bewege und die Anwendung damit korrekt
ist.
Damit kann ich natürlich in einer realen Auseinandersetzung
und selbst in einem Wettkampf nichts ausrichten.
Das ist wichtig zu verstehen, weil es sonst zu
Missverständnissen kommen kann.
Selbst in der Welt des Taijiquan gibt es eine Bandbreite des
Verstehens der Kräfte, die in den Partnerübungen aufeinander wirken. Und das
reicht von ganz leicht (4 Unzen) bis starke Wirkung auf den anderen, sprich ihn
also wirklich bewegen wollen.
"Peng" ist für mich die fundamentalste Idee im
Taijiquan. Es bedeutet für mich ein rundherum Ausdehnen. Und mit diesem Ausdehnen
kann ich in der Partnerübung dann Kontakt aufnehmen. Die Kraft, die bei
"peng" auf den anderen wirkt ist dabei meist davon anhängig, wie gut
ich den Kontakt wahrnehmen und dann auch kontrollieren kann. Je
fortgeschrittener ich bin, umso geringer kann diese Kraft dann auch wirken.
In der 24er Form ist gleich die zweite Figur "Die Mähne
des Pferdes teilen" ein gutes Beispiel. Ich halte den Ball und dann lasse
ich eine Hand nach unten sinken, während die andere nach vorn oben steigt. Als
Beginnender ist das eine Bewegung meines Armes. Je mehr ich aber Taiji verstehe,
wird diese Bewegung nach außen durch ein Anschwellen ersetzt. Ich rotiere
meinen Körper durch meine Hüftbewegung (Sinken in das Kua) etwas seitlich,
lasse meinen Arm steigen, in dem ich ihn leer werden lasse und gleichzeitig ist
eben dieses Anschwellen nach außen da, was so gesehen den gesamten Körper
betrifft, in dieser Figur etwas deutlicher nach vorn zu bemerken ist.
Wenn mein Partner ob real oder vorgestellt nun als Beispiel
seine linke Faust nach vorn, zu mir, stößt, bewege ich "peng" mit
meinem rechten Arm etwas gegen seinen linken Arm, bis ich den Kontakt spüre.
Als Beginnender drücke ich zu stark und damit den Arm zur Seite. Mit der Zeit
lerne ich immer weniger zu drücken und nur den Kontakt und das Schwellen so
weit reichen zu lassen, dass seine Faust an meinem Körper vorbei geht.
Nun ist vorn mein Körper offen und der andere könnte mit
seiner rechten Faust zustoßen. Ich drehe also meine rechte Hand mit der
Handfläche nach unten, so dass sie auf dem Arm des anderen liegt und führe
diese zweite Figur in der Form noch einmal aus. Meine rechte Hand sinkt etwas
nach unten, kontrolliert dabei den linken Arm des anderen und mein rechter Arm
schwillt nach außen und nimmt Kontakt mit dem rechten Arm des anderen auf.
Jetzt kontrolliere ich beide Arme des anderen und es gibt
verschiedenen Möglichkeiten wie es weitergehen könnte, entsprechend wie der
andere reagiert. Geht er weiter nach vorn, könnte ich zum Beispiel mein Knie
steigen lassen, geht er zurück, könnte ich mit "an" reagieren und
mich so von ihm lösen.
Als Übung mit dem Partner bewege ich das langsam und mit
durchaus großen Bewegungen.
In einer Anwendung wird das eher sehr schnell ablaufen, Und
dann sind die Bewegungen sehr klein und schnell.
Ich bleibe mal bei diesem Beispiel und nutze eine andere
Variante.
Wenn der andere seine linke Faust stößt und ich nun meinen
linken Arm "peng" bewege, so scheint es, als wenn ich ihn damit vorne
schließe und in seiner Möglichkeit einschränke, seine rechte Faust als zweiten
Schlag nachzusetzen. Wenn der andere nun weiterhin seinen linken Arm nach vorn
bringt, lege ich meine linke Hand auf diesen, seinen linken Arm und lasse sie
sinken, während ich mit meinem rechten Arm "peng" unter seinem linken
Arm durch tauche und dann meine Figur "Die Mähne des Pferdes teilen"
relativ stark entwickle um ihn zu entwurzeln. Hilfreich ist es oft, wenn ich
dabei mein rechtes Bein hinter seinem linken platziert habe, um dieses
Entwurzeln über meinem Knie als Hebel zu verstärken. Dabei wirken schon starke
Kräfte, auch gegeneinander.
In der Praxis sehe ich das als sehr gefährliche Figur an, so
dass ich im Ernstfall den anderen nie so weit herankommen lassen würde.
Nun gibt es in der 24er Form später bei der 7. Figur " den Spatzenschwanz fangen" einen ähnlichen Ansatz und ich habe diese Figur schon in verschiedenen
Ausprägungen gesehen. Als Beginnender bewegte ich dieses 7. Bild gleich, wie bei
der zweiten Figur. Und nach dem ich die Bewegung meiner Arme beendet habe,
nehme ich den unteren Arm wieder mit hoch. Jedoch je weiter ich Form und
Anwendung zusammen betrachte, umso weniger entfernen sich bei mir beide Hände
voneinander.
Es bleibt jedoch immer ein leichtes Öffnen unter der
Vorstellung des Verbunden seins über ein elastisches Band erhalten.
In der Anwendung wäre es nun so, dass ich wieder meinen
linken Arm steigen lasse und "peng" ausdehne, wenn der Partner seine linke Faust stößt. Der andere ist wieder etwas geschlossen und kann dann seine rechte Faust nicht direkt stoßen. Wenn
ich nun meine linke Hand auf seinen linken Arm lege, ist meine rechte Hand
nicht weit weg, so dass ich meinen rechten Arm mit auf seinem linken Arm, günstig am Ellenbogen um diesen zu kontrollieren, auflegen kann. Bewegt der andere nun seinen linken Arm weiterhin nach vorn,
wobei ich ihn mit meiner linken, sinkenden Hand unterstütze, so gelange ich in
die Anwendung der nächsten Figur der Form "lu". Ich rolle dabei mein
linkes Hüftgelenk nach links und den anderen dabei seitlich links an mir
vorbei. Oft ist es so, dass ich dabei auch meinen linken Fuß einen Schritt
zurücknehme, wodurch ich auch noch mehr Bewegungsfreiheit in meiner linken Hüfte
bekomme.
Soweit wird der andere aber oft nicht nach vorn gehen
wollen, so dass er anfängt sich zurückzuziehen.
Mein rechter Arm liegt ja noch auf seinem linken und ich
gehe nun wieder mit, bleibe dran und lege meine linke Hand zur Unterstützung
mit an meinen echten Arm. Das ist die dritte Figur, genannt "ji". Je
nachdem, wie stark der Druck zwischen unseren Armen ist, baue ich mehr oder
weniger starkes "peng" auf und gebe diesem mehr Richtung in die Mitte
des anderen.
Nun bin ich vorn und der andere merkt, dass ich nicht
weitergehen möchte. Er könnte ebenfalls mit "ji" antworten und mich
damit zum Rückzug drängen. Ich gebe dem nach, ziehe mich zurück, öffne dabei
aber etwas meine Hände und lege sie beide auf seinen linken Arm ab.
Idealer Weise schiebt der andere mich nun zurück in meinen
hinteren, linken Fuß, so dass ich seine Energie aufnehmen kann.
Wenn der andere nun merkt, dass er zu weit gehen würde ohne
einen Schritt zu machen, fängt er an sich selbst zurückzuziehen und ich kann
dranbleiben und "an" wie in der Form bewegen, oft explosionsartig, durch die gespeicherte Energie des anderen in meinem linken Bein. Sollte der andere
sich noch nicht zurückziehe wollen und verharrt einfach nur, so kann ich durch
ein Sinken versuchen, dieses Zurückziehen auszulösen, wobei er so komprimiert
wird durch meine auf seinem Arm aufliegenden Hände, dass er scheinbar fast
herausplatzt wie ein gedrückter Ball.
Nun ist auch das eine extreme Abfolge von Anwendungen, die
sehr langsam geübt wird und in der Realität oft nicht so gut funktioniert. Aber
in ihren Bestandteilen betrachtet, ergeben sich oft auch Teile der Anwendung,
die ich einfügen kann.
Wer schon mal asiatische Kungfu Filme gesehen hat, wird sich
erinnern, dass dort oft kurze schnelle Schläge und Tritte ausgeführt werden,
bei denen keiner, wenn auch schnell, Figuren aus Taijformen anwenden kann. Und
doch sind in diesen kurzen schnellen Erwiderungen auf Angriffen die Prinzipien
des Taijiquan, also zum Beispiel "peng", "lu",
"ji", "an" enthalten. Da der andere aber seine Schläge und
Tritte nicht so lang ausführt, wie ich es in der Taijiform gelernt habe, kann
auch ich nicht so lang reagieren.
Meine Bewegung entwickelt sich bis zum Kontakt mit dem
anderen, zum Beispiel an seinem Arm, wo ich sofort bemerke, wohin sich sein
Druck richtet. Ich also nicht in genau der entgegengesetzten Richtung meinen
Druck entwickle, sondern in meine Struktur und mit "peng" elastisch
bleibe, um so durch meine Hüften meinen Körper rotieren zu lassen, dass der
Druck des anderen an mir vorbeigeleitet wird. Und wenn der Schlag so kurz ist,
dass es bei mir nicht zum Rotieren reicht, verhindert diese Elastizität in
meinem Körper, dass sich sein Schlag als starke Kraft in meinem Körper
ausbreitet.
Es ist in der Anwendung zwischen einem Schlag der oft kurz
und heftig wie eine Peitsche ist und deshalb oft auch keine Struktur für eine
Rückwirkung bietet und einem Schieben, oft auch mit Hebel, zu unterscheiden, wo
der andere doch längeren Kontakt hält und deshalb von mir auch eine Rückwirkung
in seine Mitte oder unter seine Füße als Entwurzelung erfolgen kann.
Zum Schluss noch ein Begriff, der mir wichtig ist. Während
"peng" und "lu" schon aktive Intentionen sind, die sich oft
auch in Richtung des anderen richten, beschreibt der Begriff "song"
für mich die Struktur in meinem Körper.
Wenn ich stehe und eine Figur des Taijiquan einnehme, bin ich entspannt
im Sinne, dass alle Muskeln so weit aktiv sind, damit diese Figur stabil ist.
Keine zwei antagonistischen Muskeln sind gleichzeitig stark angespannt um ihr
Gleichgewicht in der Mitte zu halten. Aber kein Muskel ist so schlaff, dass der
entsprechende Körperteil, der Arm zum Beispiel einfach nur herunterhängt und
baumelt. "song" ist also für mich der Zustand meines Körpers, bevor
die Kraft des anderen auf mich einwirkt, der elastisch ist und diese Kraft aufnimmt
und ihn rotieren oder nach hinten bei Druck, nach vorn bei Zug sich bewegen
lässt ( über einen Schritt).
Inspirationen:
Mein eigener Beitrag zur 2. Figur, "die Mähne des
Pferdes teilen":
https://krabbenhueter.blogspot.com/2021/01/24er-taijiquan-2-ball-halten-und.html
Videos:
Anwendungen: schlechtes Bild
https://www.youtube.com/watch?v=Rpb6_F5YDwQ
https://www.youtube.com/watch?v=j2EFMVTA8G0
anderes Prinzip:
https://www.youtube.com/watch?v=Gq833v459O4
https://www.youtube.com/watch?v=Gq833v459O4
https://www.youtube.com/watch?v=SyInO_1wSXo
sehr extreme:
https://www.youtube.com/watch?v=OTJ9z5rOH_E
Langform aber interessant: ab15.30 gute Erklärung für
"an"
https://www.youtube.com/watch?v=TjUzVrP5un8
Yang Tai Chi San Shou - Partner
Form - Part One
https://www.youtube.com/watch?v=ns03tELcdxg