Als ich begann, mich für Taijiquan zu interessieren, war die erste Aufgabe die Bewältigung der Form. In meinem Fall die 24er Yang Form, wie sie allgemein überall bewegt wird. Erst nach dem ich den Ablauf und alle Figuren dieser Form bewegen konnte, war es mir möglich, etwas genauer hinzusehen, um zu erkennen, um was es eigentlich im Detail dabei geht.
Warum hatte jemand die Reihenfolge genau so angeordnet? Und warum speziell gerade diese Bewegungen als Figuren entwickelt?
Mein Erlernen der Form hatte viel mit dem Kopieren der Bewegungen zu tun, die ich bei anderen sah. Das dauerte seine Zeit und gelang mir nur, weil ich wirklich jede einzelne Bewegung für sich immer und immer wieder ausführte und das oft als eine Art Kreislauf aus „rechter“ und „linker“ Bewegung.
Nicht jeder läuft die Form zu beiden Seiten gleich gern. Doch ich wollte es gleich so und dabei half mir auch, dass es beim benachbarten Karate „Ura“ Katas gibt, also zur anderen Seite bewegte.
Mit der Zeit nun hat sich bei mir nun ein bestimmtes Verhältnis zur Form entwickelt.
Für mich ist die Form eine Art Auflistung von Figuren, die wichtige Prinzipien des Taijiquan verdeutlichen. Und damit ist die Form eine Art „Liste“ von Anwendungen dieser Prinzipien für mich, die ich mir erarbeiten möchte.
Mit der Zeit lernte ich viele verschiedene dieser Prinzipien kennen ( das Steigen und Sinken, das Öffnen und Schließen, kreisförmige Bewegungen in verschiedenen Richtungen, die innere Verbindung der Gelenke usw …)
Und jedes Mal ist die Form, diese Liste dann dafür da, um diese Prinzipien anhand der verschiedenen Figuren zu entwickeln.
Es gibt eben nicht nur eine Möglichkeit, den „Spatzenschwanz zu fangen“ oder die „Peitsche“ zu schwingen.
Und manchmal ist es dann auch Zeit, die Form auch „einfach mal so“ zu laufen. Dann enthalten die Bewegungen alle meine Erkenntnisse, die ich über die Zeit gesammelt habe gleichzeitig, ohne, dass ich direkten Einfluss darauf nehme. Es findet eine Art „Überlagerung“ aller Möglichkeiten statt. Und das entspricht dann dem, wie es in einer Kampfkunst dann der Anwendung, dem wirklichen Kampf, entsprechen würde.
Als ich nun am Anfang in meinem Garten stand und überlegte, was ich üben sollte, nahm ich mir diese Liste vor:
Arme heben, Arme heben mit Öffnen und Schließen, Arme Heben mit Schritt, später dann Arme heben mit „Peng, Lu, Ji An“
Pferdemähne teilen ohne und mit Schritt
den Kranich, das Knie streifen, die Laute spielen und den Affen vertreiben … 1 Stunde rum …
Oder eben nur den Spatzenschwanz fangen nach links und rechts als Miniform.
Und weiter so …, ich schreib ja hier gerade keine Anleitung sondern nur meine Gedanken auf.
Die Form in der Gruppe
Warum sollte die Form in einer Gruppe bewegt werden?
Jeder ist verschieden von der Art her, als auch vom Entwicklungsstand.
Und doch ist es wichtig.
Die Beginnenden bewegen sich in der Mitte zwischen denen, die ihnen zeigen wollen, wie die Bewegungen ausgeführt werden. Das ist von alters her asiatische Tradition.
Sie schwimmen praktisch im Strom wie in einem Schwarm mit Fischen. Und das ist ja an sich keine Vorführung, es sei denn, man machte das zu einer.
Hier geht es darum, den Blick für die Bewegungen der Anderen zu entwickeln und sich mit ihnen zusammen als Einheit zu bewegen, immer weniger hinblickend, die Bewegungen der Gruppe eher zu spüren, sich mit bewegen zu lassen.
Die Atmung
Ein wichtiger Aspekt im Taijiquan ist die Atmung. Erst mit der Zeit ist es mir möglich, gleichmäßig und umfassend zu atmen, also den gesamten Körper atmen zu lassen. Atmung und Bewegung verbinden sich und folgen einander ohne dass eines von beiden forciert wird. Dann wird die daran gekoppelte Form auch langsamer ohne es erzwingen zu wollen, gleichmäßiger und umfassender. Das kann ich eben nicht erzwingen und stellt sich erst durch das oftmalige Wiederholen der Form ein.
Die Vorstellung der Anwendungen in der Form
In den Figuren der Form sind auch vorgestellte Anwendungen enthalten. Taijiquan ist eine Kampfkunst und in den Bewegungen sollte das auch deutlich werden. Laufe ich die Form, stelle ich mir die Anwendungen wie eine Art Schatten vor und fühle seine Präsens zum Beispiel an meinem Arm. Ich übe mit anderen zusammen, um diese Druck real zu erfahren, damit ich ihn mir in meiner Form dann allein vorstellen kann.
Schon eine 24er Form gelaufen mit diesen Vorstellungen ist eine enorme Herausforderung für Beginnende. Da gilt weniger und ehrlicher mehr als viele leere Wiederholungen.
Ich rate also dazu, die Form nicht als End- und Höhepunkt der Entwicklung zu betrachten, eher als „Werkzeug“, als Liste von Punkten, die ich üben möchte. Ab dem Punkt, wo ich beim Laufen der Form über diese nicht mehr nachdenken muss, wo ich sie „einfach“ durchlaufe wie in einem Guss, fängt die wahre Entwicklung erst an.
Pushhands auch verbal
„Taijiquan übt das Neutralisieren und Ableiten von Kräften, die auf mich wirken“
Ein Schlag mit der Faust, ein Schubs meines Armes, also ein Druck auf mich, beantworte ich nicht mit einem Gegendruck. Eher versuche ich den Druck eben zu neutralisieren, ohne dabei aber meinen Raum um mich selbst aufzugeben. Ist die Kraft, die auf mich wirkt, zu groß für mich, leite ich sie zur Seite ab.
Und das lässt sich auch auf den Umgang miteinander anwenden. Argumente, die auf mich einschlagen versuche ich nicht mit Gegenargumenten „totzuschlagen“.
Ich höre zu.
Und doch bewahre ich dabei auch meinen Raum, um mich.
Argumente, die mich verletzen sollen, lasse ich nicht in diesen Raum, leite sie zur Seite ab.
Neutralisieren bedeutet für mich, dass der andere nicht das Gefühl hat, dass ich ihn mit Worten schlagen möchte.
Das ist natürlich schwer zu erreichen und erfordert genauso intensiver Üben wie das Erlernen der Form im Taijiquan.
Aus dem Pushhands kann ich viel darüber lernen, wie ich mit anderen auch verbal umgehe.
Ich höher zu, bleibe dran und frage nach, immer mit der Möglichkeit das ich etwas falsch verstanden haben könnte. Direkte Spitzen lasse ich nicht auf mich verletzend wirken, leite sie ab. Es könnte sein, das der Andere nicht so gut im Gespräch ist wie ich. Wenn ich also direkt verbal zurückschlage, könnte es zu einer unnötigen Eskalation kommen, wie beim Pushhands entsteht ein Gerangel, das nur der Kräftigere für sich entscheiden würde.
Und was dieses „meinen Raum bewahren“ für mich bedeutet, gilt es immer wieder aufs Neue zu hinterfragen. Denn es könnte sein, das ich, in dem ich mit zu starkem Druck diesen Raum zu bewahren versuche, genauso schlagend auf den anderen wirke, als wenn ich ihn wirklich schlagen würde.
Die Form laufen ohne Inhalt, also ohne die Erfahrungen aus dem Pushhands ist Inhaltsleer.
Gespräche führen wie diese Form laufen, ohne die Wahrnehmung des anderen zu erfragen, ohne die Erfahrungen aus dem mentalen Pushhands zu berücksichtigen, ist leider oft eskalierend ohne Hoffnung auf gegenseitigem Verständnis.
Das ist jeden Tag erneut eine Herausforderung und natürlich nicht jeden Tag zu meistern. Aber den Versuch ist es immer wieder aufs Neue Wert.