Es gibt eine Übung, die ich immer wieder, oft im Rahmen
eines Übungssets, bewege, die für mich eine ganz bestimmte Idee besonders gut
verdeutlicht. Diese Idee findet sich dann überall wieder, wenn ich genau
hinschaue.
... Ich öffne meine Arme zu den Seiten und nach einem
kleinen Sinke, besonders in meinen Ellenbogen,
steigen meine Arme, meine Hände nach oben, um dann vor meinem Körper,
die Handflächen sich nach schräg, oben, etwas zu mir wendend zu verharren...
Diese Haltung, mit den nach oben gewendeten Handflächen, als
Standhaltung, kurze Zeit oder aber auch etwas länger stehend, sieht einfach
aus, von außen betrachtet.
Aber was passiert eigentlich innerlich bei mir?
Bewege ich einen Muskel, so benötigt er eine Basis, an der
er befestigt ist und zu der er sich hin- zusammen - ziehen kann. Hebe ich
meinen Arm, so ziehe ich im Körper, der die Basis ist Muskeln an, die den Arm
heben. Der Körper selbst wäre also fest.
Oder aber ich betrachte eine ganze Kette von Muskeln,
beginnend bei den Füßen und lasse diese als Vorstellungsbild eine
Entspannungswelle durch den Körper bis in meinen zu bewegenden Arm steigen.
Dadurch bleibt mein Körper flexibel und entspannt, abgesehen von der minimalen
Muskelbewegung, um diesen Arm zu heben.
Nur wenn ich jetzt nicht genau zum Boden hin ausgerichtet
bin, könnte mich dieser Armhebel aus meine Balance bringen, was dazu führt,
dass ich unwillkürlich Muskeln gerade in den Beinen anspannen werde, um dem
entgegen zu wirken und dadurch fest und noch weniger ausbalanciert und
verbunden zum Boden werde.
Zusammenfassend ergeben sich zwei Punkte:
"Entspannungswelle" und "Ausrichtung zum Boden". Und da ist
nichts Außergewöhnliches dabei.
Die Stellung in der Übung nennt sich im chinesischen: "
... halte den Mond...".
Na gut, der Mond ist relativ groß und weit weg. Und so
beginne ich vielleicht eher mit einem Ball.
Halte ich einen Ball so vor meinem Körper, könnte ich alle
Muskeln anspannen und stehen wie ein
Gerüst. So kann ich etwas stehen, je nach Gewicht des Balls aber nicht ewig.
Meine Muskeln ermüden und fangen an zu zittern. Entspanne ich mich einfach,
kann ich den Ball auch nicht viel länger hoch halten. Die Muskelkette wirkt
schon erleichternd, aber den zweiten Punkt sollte ich nicht vergessen.
Halte ich den Ball gerade über meinem Kopf, geht es besser.
Das Gewicht geht direkt durch meinen Körper ohne Hebelwirkung an den Armen. Das
bemerke ich sofort, wenn ich meine Arme mit dem Ball wieder senke. Davon
ausgehend, benutze ich ein Vorstellungsbild, um auch wenn ich meine Arme senke
immer noch gedanklich unter dem Ball stehen zu bleiben.
"Entspannungswelle" und "Ausrichtung zum
Boden"
Mein Körper ist so flexibel und meine Muskeln können sich
auf der Grundlage dieses Bildes, bei einiger Zeit des Übens, von selbst so
ausrichten, dass die Muskeln optimal entspannt sind und ich doch nicht aus
meiner optimalen Standhaltung, gesunken in den Boden, gezogen werde. Das ist
eine Entwicklung über längere Zeit und mit stetiger Steigerung in der
Gewichtung, klein anfangen und immer weiter steigern.
Ich hebe den Ball an, in dem ich mir schon gleich beim Heben
vorstelle, wie ich unter dem Ball stehe und ihn wie ein Springbrunnen, der Wasser
aus einer Düse nach oben drückt, hebe und gleichzeitig sein Gewicht die ganze
Muskelkette durch meine Arme, meinen Rücken, die Wirbelsäule hinunter, durch
meine Beine, durch die Füße, die Fußsohle in den Boden wirkt. Wenn ich mir
Wurzeln in den Boden vorstelle, so wachsen diese zwar nicht. Aber diese
Vorstellung, länger praktiziert, ermöglicht meinen Muskeln von sich aus diese
optimale und entspannte Haltung einzunehmen.
Da kommt jemand vorbei und denkt: Na ja, so ein leichter
Ball... ich möchte mehr. Aber ich denke zurück, ja fang erst einmal an, mit
diesem Ball und stehe so etwas länger mit entspannten Muskeln. Mehr geht später
immer noch. Ich benutze nicht die großen und dicken Aktionsmuskeln sondern die
verborgenen Haltemuskeln, die mich mit ihrer Flexibilität schnell und stabile
ausrichten, auch wenn vielleicht jemand an mir zieht oder schiebt. Jede Kraft
von außen bewirkt meinerseits nur ein weiteres Sinken nach unten, durch meine
Füße in den Boden, bringt mich nicht aus meine Balance.
Und so einfach diese Übung ist, einfach nur stehen und den
Ball halten, oder sich vorstellen den Ball zu halten, oder sich vorstellen den
Mond zu halten, immer genau unter dem Objekt ausgerichtet, auch wenn dieses in
Augenhöhe oder Schulterhöhe oder Brusthöhe oder noch niedriger gehalten wird.
Erst dann, wenn ich es mir vorstellen kann und meine Muskeln wie von selbst
anfangen sich entsprechend auszurichten, wenn ich sitze und meine Muskeln sich
anfangen entsprechend auszurichten, kann ich auch anfangen danach zu suchen, wo
dieses Vorstellungsbild angewendet werden kann.
Ich laufe die 24er Form und beobachte, wo Stellen sind, an
denen ich scheinbar etwas anhebe, ob nun mit beiden Händen oder mit einer.
Gleich am Beginn hebe ich meine Arme, zwar mit den Handflächen nach unten aber
dem gleichen Vorstellungsbild. Gleich in der nächsten Figur, hebe ich meinen
Arm aus der Ballhaltung diagonal vor meinem Körper an. Oft schiebe ich als
Abwehr meinen Arm- und Handrücken noch vorn. Aber ich kann auch meine
Handfläche nach oben halten, mit dem Ball darin, ob echt oder nur vorgestellt,
anhebend.
"Entspannungswelle" und "Ausrichtung zum
Boden"
Und schon sieht diese Figur der Form vielleicht wieder etwas
anders aus wie sonst, ist mein Arm nicht so weit nach außen und weniger
geöffnet, stehe ich mehr durch meinen vorderen Fuß, nicht bis über die Zehen
hinweg gelehnt, ist meine Schulter, mein Ellenbogen mehr gesunken, mein Becken
sitzt und mein unterer Rücken ist begradigt und entspannt. Auch mein Kopf ist
mehr wie von oben hängend, denn auch mein Kopf ist wie eine Art Ball, eine
Kugel, die ich von unten her durch meine Wirbelsäule nach oben halte, in dem
ich direkt darunter bin und dadurch Hebel zu den Seiten vermeide.
Und nun komme ich zum scheinbaren Wiederspruch.
Im Taijiquan gibt es den Spruch von den vier Unzen, die
tausend Pfund bewegen. Aber das ist etwas widersprüchlich in sich, denn ich
soll wegen Yin und Yang nicht eine Kraft mit einer Gegenkraft beantworten.
Nun halte ich den Ball, der durch die Erdanziehung nach
unten wirkt, mit meiner Hand gegen. Aber das lässt sich auch nicht anders
verwirklichen. Wenn ich den Ball anheben möchte, benötige ich die etwas größere
Kraft um zu heben.
Der Spruch dagegen bezieht sich auf Partnerübungen oder die
Anwendung im Kampf.
Wenn ich da der Kraft mit gleicher Kraft entgegenwirke,
entsteht ein sogenannter "doppelter Fehler" und kein Ausgleich. Wenn
also der/die andere zum Beispiel von oben auf meinen Arm drückt oder einfach
nur mit seinem/ihrem Gewicht auflehnt und ich dann dagegen wirke, ihn/sie also
quasi festhalte, so hat der/die andere die Kontrolle und macht mit mir, was
er/sie will. Sollte ich dann auf die Idee kommen, den/die anderen mit Kraft von
unten heraus wegzudrücken, so ist das nicht im Sinne der Prinzipien und der/die
andere muss sich nur mehr auflehnen um es mir schwer zu machen.
Nein, im Gegenteil. Sobald ich die Kraft des/der anderen
spüre, lasse ich sie ins Leere laufen, leite sie ab. Dann wird der/die andere
auch schon aufhören sich auf mich zu lehnen. Das ist ein ganz schwer zu
beherrschender Prozess, sich eben dann nicht zwischen Erde und dem/der anderem/n
einklemmen zu lassen, damit diese/r dann seine/ihre volle, harte Kraft auf mich
wirken lassen kann. Wenn der/die andere merken würde, dass da nichts festes Solides
da ist, wird er/sie automatisch nachlassen um nicht selbst zu fallen. Und das
ist dann der Moment, dieser also, wo der/die andere nachlässt, wo man vielleicht
etwas hinzuaddieren kann an Kraft und ihn/sie in seiner/ihrer Stabilität erschüttertet,
ihn/sie also quasi
"entwurzelt". Ich lasse also
Kraft erst wirken, wenn der/die andere seine/ihre Ausrichtung schon verloren
hat und seine/ihre Kraft also in die andre Richtung, von mir weg wirkt.
Als Übung beginnt so etwas mit ganz kleinen Kräften und im
Vertrauen mit dem Partner/der Partnerin und steigert sich dann, bis man auch
mit stärkeren Kräften umgehe kann.
Wenn sich also zwei Partner/innen gegenüber stehen, und beide
leicht gegeneinander drücken, mit vier Unzen..., dann entsteht mit dem Üben ein
Gefühl, als wenn ich unter dem/der anderen stehe. jeder der beiden Partner
versucht dieses Gefühl dieses darunter Stehens zu erreichen. Und der/die,
der/die seine Muskelketten schneller und gleichmäßiger entspannen gelernt hat,
wird dieses Gefühl auch wirklich verspüren und den/die anderen dann ganz leicht
von unten heraus von den Füßen hebeln können, als wenn der/die aus einem Stück
wäre, weil dann der Hebel eben durch dessen/deren gesamten Körper wirkt.
Komme ich zum Ball zurück. Den Ball entspannt halten, als
wenn ich darunter stehe, bewirkt etwas die Entwicklung dieser Haltemuskeln,
wenn ich nicht in den Punkt investiere dass ich es mit roher Kraft tun möchte.
Und dann entsteht dieses Vorstellungsbild. Und jeden Gegenstand, denn ich hebe oder hoch halte, vermittelt mir
dieses Bild, dass ich erst einmal darunter stehe und dann ganz leicht, mühelos,
wie einen Partner/in bei den Übungen, diesen Gegenstand bewege, mit nur der
minimal nötigsten Muskelanspannung und gerade durch meinen gesamten Körper
verlaufender Kraftlinie, um die Hebel die da wirken zu minimieren.
Das ist schon so viele Male beschrieben worden. Aber ich
schreibe es hier noch einmal, damit ich es für mich selbst, in meine eigenen
Worte fassend, noch einmal durchdacht habe. Und da kann sich auch jeder die eigenen
Vorstellungsbilder entwickeln, die dann genau das ausdrücken, was die Bewegung
mühelos macht und die Ausrichtung optimiert.
Zusammenfassend gesagt: steter Tropfen höhlt den Stein. Und
"Entspannungswelle" und "Ausrichtung zum Boden" sind
Beobachtungen und Vorstellungsbilder, die so lange geübt werden sollten, bis
der Körper selbst ohne mein willentliches Eingreifen, in jedem Moment
entsprechend reagiert. Sonst müsste ich ja wirklich jeden Muskel einzeln
betrachten und beeinflussen.